Jay Miner

Lorraine Amiga PrototypIm Laufe der nächsten Monate wuchs das Entwicklungsteam für den Prototypen Lorraine (benannt nach der Gattin des Unternehmenspräsidenten) immer weiter heran. Jay Miner selbst suchte nicht nur Entwickler, sondern Personen, die mit Herzblut hinter diesem Projekt stehen könnten und nahm dabei auch einige seltsame Vorlieben und Ticks in Kauf. Liefen einige mit violetten Strumpfhosen durch die Gegend, konnte es durchaus passieren, dass sie auf Leute mit Plüschhasen-Slippern trafen. Exzentrik wurde bei Amiga eben groß geschrieben und trug auch zum familiären Klima bei. Dale Luck, der Grafikspezialist des Unternehmens, war als solcher überhaupt nicht zu erkennen und glich eher einem Hippy aus den späten 1960ern. Für Jay zählte nur das Resultat, von daher ließ er seine Mitarbeiter gewähren, die auch in den schlimmsten Zeiten immer entspannt waren; solange die Arbeit erledigt wurde, konnten sie schalten und walten, wie es ihnen beliebte. Dies führte zuweilen auch soweit, dass sich Mitarbeiter tagelang nicht blicken liessen und stattdessen von zu Hause arbeiteten.

Jedoch war noch immer nicht die Richtung des neuen Systems genau definiert. RJ Mical, ein Soft- und Hardwareentwickler (der sich später auch mit Defender of the Crown auszeichnete), plädierte noch immer für ein Low-Cost-Modell, dass als ernstzunehmende Konkurrenz gegen das Atari VCS 2600 positioniert werden sollte. Mit dieser Meinung stand er in einer Linie mit den Investoren, die genau für solch ein Produkt ihr Geld bereitgestellt hatten. Dale Luck oder Carl Sassenrath (der Vater des AmigaOS) sahen sich in der Opposition und verlangten eine Maschine, die als Ausgangsbasis mit den besten Erweiterungsmöglichkeiten ausgestattet war. Noch bis zur Veröffentlichung des Amigas war diese Grundsatzdiskussion nicht engültig ausgefochten worden. Amiga Inc. hatte allerdings einfache, dafür effektive Methoden, wenn es darum ging, Streitigkeiten zu lösen. Zu diesem Zweck wurden Baseballschläger aus Schaumstoff zur Verfügung gestellt, die auch dem letzten Verfechter bei einem Gefecht den Atem rauben konnte. Nach solch einer Schlacht wurde wieder normal weitergearbeitet. Keine Frage, die Mitarbeiter waren alle motiviert, da sie wussten, dass sie an dem aufregendsten Computer arbeiteten, der bis dahin entwickelt wurde. Besonders die Softwareentwicklung hatte große Energie an den Tag gelegt und war mit ihren Vorgaben bereits fertig, bevor die Hardwareentwickler auch nur den ersten Grafikchip erstellt hatten. Doch ein Betriebssystem fehlte noch immer und Carl Sassenrath erhielt die Möglichkeit dieses zu entwickeln. Ihm schwebte dabei ein echtes Multitasking System vor, aus dem dann Exec entstand.

Doch noch immer war nicht klar, wie der Amiga auftreten sollte. Jay selbst wollte einen Computer entwickeln, der starke Ähnlichkeiten mit dem späteren Amiga 2000 hatte und dem Anwender eine große Ausbaumöglichkeit bot. Die grafischen Fähigkeiten sollten jedoch ebenso fortschrittlich sein und Miner begann sich mit den Aufgaben eines Blitters zu beschäftigen. Das Wort Blitter ist eine Abkürzung für Block Image Transferer (Grafikblockverschieber) und ist in der Computerwelt seit den frühen Modellreihen der Firma XEROX bekannt. Im Grunde ist der Blitter dazu bestimmt Daten innerhalb des RAM schnell zu bewegen oder zu modifizieren, ohne dafür den Hauptprozessor in Anspruch zu nehmen. Somit konnten beispielsweise bewegliche Grafiken in den Speicher geschrieben werden, die bei anderen Computern erst mit Hardwaresprites möglich waren (und zusätzliche Register oder Speicherbereiche benötigten). Jay Miner rief aus diesem Grunde bei seinem Freund Ron Nicholson an, den diese Aufgabe interessierte. Schnell wurden sie sich einig und Ron stieg ebenfalls bei Amiga, Inc. ins Boot. Während einiger Brainstorms kamen sie auf weitere Funktionen, die der Blitter, aber auch die anderen Chips bereitsstellen sollten. Beispielsweise bat Dale Luck um eine Line Drawing Funktion, die zuvor nicht vorgesehen war. Mit dieser konnte der Amiga Linien zwischen zwei Bildpunkten extrem schnell berechnen. Jay hatte jedoch für diese Bitte keine Zeit, der Amiga sollte in zwei Wochen auf der bevorstehenden CES zum ersten Mal dem Publikum vorgeführt werden. Dale Luck ließ jedoch nicht locker und benannte auch die Register, die dafür notwendig waren. Jay Miner gab daraufhin seinen Widerstand auf und implementierte das Line Drawing noch vor der CES.

Insgesamt benötigte das Team zwei Jahre, um die Customchips des Amiga zu entwerfen, während die Softwareabteilung an den Amiga-Libraries und den Grundfunktionen werkelte. Dabei hatten sie die beinahe unmögliche Aufgabe ein Betriebssystem zu einem Computer zu entwickeln, der sich einerseits von allen bisherigen grundlegend unterschied und zum anderen noch gar nicht existierte. Waren neue Funktionen durch die Hardwareabteilung entwickelt worden, wurde die Betriebssystemabteilung über die neuen Funktionen unterrichtet. Da die Customchips, aber auch der Rest des Systems höchstens als Steckplatine existierte, war die richtige Beschreibung enorm wichtig. Die Ingenieure mussten die korrekten Registereinträge mitteilen, damit der Programmcode auch an den richtigen Adressen zugreifen konnte.

Überhaupt sah der erste Prototyp weit weniger imposant aus, wie der endgültige Amiga 1000. Das System bestand aus etlichen Steckplatinen, die die Customchips simulierten und mit etlichen Metern Kabel verdrahtet waren. Allein der Agnus Chip bestand aus 24 Steckplatinen, die jeweils bis zu 250 Chips besaßen. Ebenso brauchten auch Paula und Denise den gleichen Platz, die damals allerdings noch auf die Namen Daphne und Portia hörten. Je mehr Platinen in das System hinzugefügt wurden, desto schwieriger war die Erhaltung der Funktionssicherheit. Hinzu kam ein typisches Phänomen des Silicone Valley: Industriespionage.

Sämtliche Unternehmen waren darauf bedacht ihre Geheimnisse für sich zu behalten, bis der Schleier gelüftet wurde. In den Gründungszeiten der Computerära war dies sicherlich mehr als wichtig. Ein Konkurrent, der die Systemeigenschaften eines Mitbewerbers kannte, war in der Lage diese zu kopieren und in seinem eigenen System zu implementieren. Jay, der bei Atari gearbeitet hatte, kannte dieses Problem nur zu gut. Amiga Inc. begann daher Perepherie für damals bestehende Computer und Konsolen zu entwerfen (u.a. das Joybard). Für die Konkurrenz sah Amiga Inc. wie ein gewöhnlicher Dritthersteller aus, der sich mit Joysticks ein wenig Geld dazuverdienen wollte und war daher nicht weiter interessant. Noch heute ist ein subtiles Überbleibsel aus der "Joystick-Ära" vorhanden: die Guru-Meditation.

Guru MeditationDas Joyboard war ein Joystick, auf dem der Spieler stehen konnte und wurde in diesem Moment dazu gebraucht, einen Cursor in der Mitte des Bildschirms zu platzieren. Dazu benötigte man eine gute Körperhaltung, Geduld und gute Nerven. Und grad diese lagen zuvor sicherlich blank, wenn man Fehler aus Prorgammzeilen eliminieren sollte, die den Amiga abstürzen liessen. Der Spieler setzte sich dann mit gekreuzten Beinen auf das Joyboard und ähnelte dabei einem indischen Guru. Insider hatten dann sofort verstanden, dass der Programmierer an der Beseitigung eines Bugs arbeitete. Carl Sassenrath bemerkte später einmal, dass dies die Antwort des Amiga-Teams auf die Macintosh-Fehlermeldungen war. Diese benutzten kleine Bomben. Allerdings konnte der Amiga, bis zum Auftauchen des ROM-Debuggers WACK keine genaue Meldung ausgeben, also nicht auf den fehlerhaften Bereich hinweisen. Man kann sich vorstellen, wie frustrierend zu Beginn die Fehlersuche war.

Intern hingegen begann man mit der Entwicklung eines Mainboards, der die Customchip-Steckplatinen aufnehmen konnte. Der erste Schritt zur Produktion war damit geschafft. Jay Miner nahm diese frühe Entwicklungsstudie, mitsamt einiger Demoprogramme mit auf die CES Messe im Januar 1984, die in jenen Tagen beginnen sollte. Vor ausgesuchtem Fachpublikum (Mitarbeiter von Sony, Philips, Hewlett Packard, aber auch Apple), abseits vom normalen Besucherverkehr, führte er seine eigene Maschine vor. Um die Leistungsfähigkeit noch stärker zu demonstrieren, entwickelten die mitgereisten Amiga-Mitarbeiter noch auf der Messe die berühmte Bouncing-Ball Demo, die alles in den Schatten stellte, was das selektierte Publikum zuvor jemals gesehen hatte. Diese ersten "Jünger" waren dabei keine Laien, sondern durchaus anerkannte Spezialisten auf ihrem Gebiet und diese konnte nur schlucken. Die Demo selbst stellte einen springenden Ball dar, der mit glasklarem Sampling den Aufprall hörbar machte. Aufgenommen wurde das Geräusch von Bob Parasseau, der einen Schaumstoffball gegen ein Garagentor prallen liess und dieses Geräusch per Apple II digitalisierte. Kein Zweifel, Jay hatte hier etwas bisher einmaliges geschaffen und Miner wusste das! Jay Miner wollte sich allerdings nicht in erster Linie mit dem Amiga profilieren: vielmehr ging dem jungen Unternehmen das Geld aus und er benötigte dringend neue Investoren. Der Prototyp und seine Leistung sollte für eine Finanzspritze wie geschaffen sein. Doch trotz staunendem Gachpublikums: der Geldsegen blieb aus. Amiga Inc. sah sich gezwungen etliche Hypotheken aufzunehmen, um die Mitarbeiter zu bezahlen, die zu jener Zeit aus 20 Personen bestand. Sogar sein eigenes Haus belastete er mit einer Hypothek, um die monatlichen Kosten bezahlen zu können. Jay wusste um die Situation seines Unternehmens nur zu gut Bescheid und sah sich gezwungen einen schweren Gang auf sich zu nehmen.

AtariCommodoreEr wandte sich an seinen alten Arbeitgeber Atari, angeführt durch Jack Tramiel, einem gewieften Manager, der auch schmutzige Tricks anwandte, wenn seine Position dadurch gebessert wurde. Dieser musste zuvor Commodore, eine Firma, die er selbst gegründet hatte verlassen und sah mit dem Aufkauf von Atari die Chance seinem alten Unternehmen die Stirn zu bieten. Tramiel und sein Unternehmen gewährten Jay einen Kredit über 500.000 $, die allerdings an eine Klausel gebunden war. Jack Tramiel selbst hatte über den neuen Amiga Computer erfahren und war seinerseits daran interessiert diesen seinem Unternehmen einzuverleiben. Atari gewährte Amiga das besagte Geld, wenn beide Firmen innerhalb eines Monats zu einem Vertrag zusammenfinden könnten, der über das Schicksal des Chipsatzes des Amigas befinden würde. Sollte keine Einigung gefunden werden, wäre Amiga, Inc. vertraglich dazu verpflichtet, die 500.000 $ sofort zurückzuzahlen. Jay und seine Mitarbeiter wussten, dass dieser Knebelvertrag für sie selbst das Aus sein würde. Die prekäre Finanzsituation liess jedoch keinen Spielraum und Amiga, Inc. stimmte zu. Der dann zustande kommende Vertrag sah vor, dass Atari das kleine Unternehmen aufkaufen würde, zu einem Dollar je Aktie. Natürlich lehnte Amiga dies sofort ab, allerdings wusste Jack Tramiel, dass ihm irgendwann das Unternehmen, bedingt durch den Kredit, auch so zufallen würde und begann ein sadistisches Spiel. Statt nun also die Summe pro Aktie zu erhöhen, begann Tramiel weniger zu bieten: 85 Cent pro Anteilsschein! In letzter Sekunde hörte auch Commodore von diesem Desaster und sah die Chance es nun seinem ehemaligen Leiter heimzuzahlen. Mit einem Kaufpreis von 4,25 $ stach Commodore Atari aus und übernahm Amiga, Inc. für 27 Millionen Dollar, das schon kurze Zeit später nach Los Gatos übersiedelte.

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