Graftgold
Und letztlich passierte es. Steve Turner programmierte an einer Fortsetzung seines Erfolges Quazatron, während Andrew Braybrook die letzten Designänderungen an Morpheus tätigte, als die Bombe platzte: Hewson war in Schwierigkeiten. Dies erfuhren sie jedoch zu Beginn nicht durch Hewson oder andere offizielle Kanäle, vielmehr waren es zwei Programmierer, die das Unternehmen verliessen, nachdem die finanziellen Probleme nicht mehr wegzudisskutieren waren. Sie riefen bei Steve an und fragten ihn, ob er Interesse hätte sie beide unter Vertrag zu nehmen. Dieser nahm das Angebot an und Graftgold verdoppelte dadurch seine Mitarbeiterzahl augenblicklich. Jedoch war es nun nicht mehr möglich, zu viert im Esszimmer zu programmieren. Es folgte der Umzug in ein kleines Büro in Witham, direkt über einem Gemüsehändler.
Doch waren die beiden "abtrünnigen" Deisgner nicht die einzigen Personen, die Steve vor Hewsons Probleme warnten. Auch Debbie Silletoe, damalige Nummer 2 bei Hewson informierte, kurz nach ihrem Wechsel zu British Telecomsoft, Graftgold über den baldigen Absturz des Publishers. Im gleichen Atemzug bewarb sie ihr neues Unternehmen als potentiellen Nachfolger und Turner wechselte, nach einigen Überlegungen, somit den Publisher. Hewson war über diesen Schritt nicht sonderlich begeistert und verklagte Graftgold auf die Auslieferung zweier Spiele unter ihrem Namen. Da Hewson Steve Turner jedoch bisher nicht bezahlt hatte, sah sich dieser keiner Schuld bewusst. Ein Gericht sollte das Dilemma klären, allerdings konnten sich British Telecomsoft und Hewson aussergerichtlich einigen.
Kaum war diese Situation geklärt, änderte sich erneut das gesamte Gefüge: Microprose, bestens bekannt durch Wild Bill Stealey und Sid Meier, kaufte British Telecomsoft auf und erhielten nun die Publishing-Rechte für die nächsten Graftgoldspiele. Zu dieser Zeit entwickelte Graftgold Bushido und Simulcra, die aber noch weit entfernt von einem Goldstatus waren. Microprose jedoch war bereit die beiden Spiele zu veröffentlichen. Ebenso waren sie interessiert an der Portierung des Automatenhits Rainbow Island, dem offiziellen Nachfolger zu Bubble Bobble. Graftgold versuchte ihnen ein Spiel über das Szenario Battle over Britain (dem Kampf der englischen und deutschen Luftwaffen zur Vorbereitung der Operation Seelöwe) schmackhaft zu machen, allerdings war der Publisher daran nicht interessiert, was insofern verwunderlich ist, da Microprose stets Militärsimulationen veröffentlicht hatte. Die Beziehungen verschlechterten sich und schlussendlich gingen beide Seiten getrennte Wege. Kurze Zeit später wurden Steve und seine Männer mit Activision einig, die ebenso Interesse an Battle over Britain hatten, als auch dem kleinen Unternehmen die Entwicklung von "Realms" übertrugen. Kaum gestartet, erreichte sie erneut eine Hiobsbotschaft: Activision stoppte die Arbeit als Publisher und entwickelte non nun an selbst Computerspiele. Ein herber Rückschlag.
Dennoch konnte das kleine Unternehmen überleben, programmierten sie für Virgin Interactive die 8- und 16-bit-Portierungen des Automatenhits Off Road Racer. Für Entwicklungsstudios waren Konvertierungen zu dieser Zeit eine exzellente Möglichkeit Geld zu verdienen: man riskierte keine Neuentwicklung, die durchaus Flops werden konnten. Stattdessen besaß man einen zugräftigen Namen und musste zudem das Spiel nicht vertreiben, dies alles erledigte der Auftraggeber. Problematisch war nur, das keine weiteren Einnahmequellen durch den Verkauf zustande kamen, was Graftgold aber wollte. Daher kauften sie das Realms Projekt von Activision zurück und boten es Virgin an. Das Unternehmen war interessiert und schlug zu. Virgin unterstützte sie bei der Entwicklung. Das Spiel war ein mittelmäßiger Erfolg im Verkauf, brachte Graftgold jedoch wieder zurück in die Gewinnzone.
Zu jener Zeit, 1991, begann auch der Aufstieg der Konsolen von Sega und Nintendo. Hatte Graftgold den Boom der 8-bit-Konsolen (Sega Master System und Nintendo Entertainment System) nicht nutzen können, aufgrund von Verträgen, wollten sie bei den 16-bit-Konsolen jedoch starken Anteil nehmen. Hilfreich war dabei Virgin, die das kleine Unternehmen dem japanischen Unternehmen Sega vorstellten und sie so zu Sega-Entwickler machen konnten. Ebenso wie Nintendo besaß Sega eine Qualitäts- und Lizenzkontrolle, die nicht jeden Entwickler zuließ. Zu Beginn konvertierten Steve und Andrew zahlreiche Spiele, inklusive Offroad Racer und Superman, jedoch waren dies die letzten Tage der alten Konsolen und wie auch schon zuvor bei den Computer wechselten die Anwender auf die moderneren Konsolen.
Graftgolds erste Auftragsarbeit war damit Ottifant (die Comicfigur des deutschen Komikers Otto Waalkes) und Graftgold sollte das komplette Spiel entwickeln. Die Ottifanten sollten ursprünglich in ganz Europa im Fernsehen ausgestrahlt werden und das Unternehmen hätte somit eine Werbeikone, die die Verkaufszahlen fördern sollte. Allerdings waren die meisten Fernsehanstalten nicht daran interessiert. Sega gab ihnen ein Zeitfenster von drei Monaten, um noch vor Sonic ein Jump 'n' Run auf dem Sega Mega Drive anbieten zu können. Allerdings dauerten die Verhandlungen mehr als einen Monat und konnten damit nicht für die Entwicklung genutzt werden, da eine Entwicklung vor der Vertragsunterzeichnung Schwierigkeiten mit sich brachte, denn Änderungen kamen immer wieder vor und machten jegliche Vorarbeit zunichte.
Insgesamt war der Start in die 16-bit-Konsolenära also wenig erfolgreich, allerdings arbeitete das Unternehmen weiterhin an etlichen Amiga-Spielen, die sich noch immer, trotz Raubkopien, durchaus gut verkauften. Beispielsweise Fire & Ice, dass 1992 veröffentlicht wurde, zu einer Zeit, als der Amiga noch auf seinem Höhepunkt, der Abgrund allerdings schon zu sehen war. Veröffentlicht wurde das Graftgold-Spiel durch Renegade, einem britischen Publisher, der durch die berühmten Bitmap Brothers, gegründet wurde. Ziel des Studios war, nicht den Publisher, sondern die Entwickler in den Vordergrund zu rücken, oder zumindestens deren Verdienst zu steigern. Die Bitmap Brothers kannten selbst das Problem, da sie zuvor nur in Insiderkreisen eine feste Größe waren, die Masse jedoch eher Namen wie Electronic Arts oder Activision kannten und dabei übersahen, dass diese Unternehmen zumeist nicht selbst entwickelten, sondern nur publizierten. Hier kam es nun zu Problemen, da Renegade und Virgin die Mega Drive-Version veröffentlichen wollten. Virgin gewann, jedoch entschieden sich Renegade, Virgin und Sega, dass sie gemeinsam die Master System und Gameboy- Variante entwicklen sollten. Virgin sollte die Mega Drive Version entwickeln, die jedoch nie erschien. Graftgolds Einstand für das Super Nintendo ließ lange auf sich warten, jedoch erhielten sie 1994 die Chance mit der Entwicklung eines Fußballspiels für die WM in den Vereinigten Staaten. Zeitgleich wurden auch Portierungen für den Amiga und den PC programmiert, die schon bald veröffentlicht wurden, jedoch nicht die Version für Nintendos 16-bit-Maschine. Sie kam nie auf den Markt.
Steve und Andrew konzentrierten sich nun in erster Linie auf den Amiga und nebenbei für den PC. Andrew Braybrook stellte Uridium 2 her, einen Nachfolger seines großen C64-Erfolges, nachdem seine Portierung von Fire&Ice für das Commodore CD32 ebenfalls nicht veröffentlicht wurde. Doch mit Virus Alert entstand das letzte Spiel für die "Freundin" von Graftgold, zwar begann man noch die Arbeiten an einem Motocross-Spiel, jedoch wurden die Arbeiten zugunsten der PC-Version aufgegeben: der Amiga war für Renegade und Graftgold gestorben.
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